Buchdeckel als Medium der Renaissance und Reformation. Neue Ansätze zur Erforschung bildlicher Einbandgestaltung

Buchdeckel als Medium der Renaissance und Reformation. Neue Ansätze zur Erforschung bildlicher Einbandgestaltung

Organisatoren
Daniel Gehrt, Forschungsbibliothek Gotha, Universität Erfurt
Ort
Gotha
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
12.09.2022 - 12.09.2022
Von
Saskia Jähnigen, Sächsische Akademie der Wissenschaften, Leipzig

Seit den 1520er-Jahren und damit im zeitlichen Zusammenhang mit den Anfängen der Wittenberger Reformation ist in der Einbandgestaltung im mitteldeutschen Raum ein auffälliger Stilwandel zu beobachten: An die Stelle der vormals üblichen ornamental-dekorativen Gestaltung traten nun bildliche Motive, darunter biblische Figuren, Wappen, Portraits antiker und zeitgenössischer Herrscher sowie Darstellungen der Reformatoren. Dadurch wurden Buchdeckel zu Trägern religiös-konfessioneller und politischer Aussagen, die erst durch eine Einordnung in ihre jeweiligen Entstehungs- und Rezeptionskontexte umfänglich verstanden werden können. Bisher hat die Einbandforschung das mediale Potential mitteldeutscher Einbände des 16. und 17. Jahrhunderts jedoch nur marginal gewürdigt. Hier setzte der Workshop an, der der Gestaltung frühneuzeitlicher Buchdeckel mit neuen Fragen begegnete. Diese sollten nicht restlos beantwortet werden, vielmehr verstand sich die Veranstaltung als Anstoß für eine perspektiverweiterte und disziplinübergreifende Einbandforschung.

In einer kurzen Begrüßung stellte HENDRIKJE CARIUS (Gotha) einen Zusammenhang zwischen dem Workshopthema und der Sammlung der von ihr vertretenen Forschungsbibliothek Gotha her. Davon konnten sich die Teilnehmenden praktisch überzeugen, denn die Ausstellungsvitrinen des zum Tagungsort gewordenen Spiegelsaals zeigten ausgewählte Originale, die vielfältige Anknüpfungspunkte an Aspekte der Veranstaltung boten. Im Anschluss stimmte DANIEL GEHRT (Gotha) die Teilnehmenden mit einer inhaltlichen Einführung auf die Thematik des Workshops ein. Er stellte heraus, dass die gleichzeitige Verwendung von bildlichen Stempelplatten und -rollen sowie die Integration von zusätzlichen Beschriftungen das „Markenzeichen des deutschen Renaissancebucheinbands“ waren. Durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Elemente wurden sehr komplexe Bildaussagen möglich, obwohl die Verfügbarkeit von Stempeln in einer Buchbinderwerkstatt stark begrenzt war. Fragen beispielsweise nach der Funktion der Einbände oder auch ihrer Auftraggeber würden bisherige Forschungen bereichern.

Anstelle von Daniel Görres (Nürnberg), der sich zur Intermedialität von Bildmotiven Lucas Cranachs d. Ä. äußern wollte, jedoch krankheitsbedingt ausfiel, stellte DANIEL GEHRT eigene Überlegungen zu dieser Thematik vor. Er betonte, dass Cranach ikonische Portraits der ernestinischen Fürsten schuf, die es den Betrachtenden ermöglichten, diese auch ohne beigefügte Beschriftung zu erkennen. Solche Darstellungen der Landesherren, die auf Gemälde und Graphiken Cranachs zurückgehen, zierten Einbandplatten teilweise schon bevor sie als kleinformatige Portraits zirkulierten. Dass das Fürstenportrait auch eine konkrete religionspolitische Aussage vermitteln konnte, zeigte Gehrt am Beispiel der gedruckten „Confessio Augustana“: Die Darstellungen des ernestinischen Kurfürsten Johann und seines bereits verstorbenen Bruders Friedrich machen deutlich, dass die Fürsten hinter der Bekenntnisschrift standen und diese als weltliche Obrigkeit schützen.

JOACHIM OTT (Jena) thematisierte die Bedeutung von Herrschaft und Konfession auf Einbänden der kurfürstlichen Bibliothek in Wittenberg sowie der frühen Fürstlich Sächsischen Bibliothek in Jena. Für die bis zum Übergang der sächsischen Kurwürde von den Ernestinern auf die Albertiner in Wittenberg ansässige Bibliotheca Electoralis hob Ott den Buchbinder Joachim Linck hervor, der standardmäßig Einbände mit einer von Rollenstempeln umgebenen Mittelplatte schuf. Besonders häufig zeigte das Mittelfeld der extra für die Bibliothek geschaffenen Einbände das Portrait des zu dieser Zeit regierenden Kurfürsten Johann Friedrich. Nach dem Umzug der Bibliothek nach Jena trat hingegen Johannes Weischner als entscheidender Binder in Erscheinung, für den ein Rautendesign typisch war. Wie die in den 1590er-Jahren gehäuft wiederkehrende Darstellung Johann Friedrichs zeigt, dienten Bucheinbände auch als Medium fürstlicher Memoria.

Daran anknüpfend fragte DANIEL GEHRT (Gotha) am Beispiel ausgewählter Stempel, die zur Verzierung der Jenaer Lutherausgabe verwendet wurden, inwieweit die Einbandgestaltung als Medium dynastischer Selbstinszenierung dienen konnte. Anhand von sechs bisher identifizierten Sammlungen konnte Gehrt zeigen, dass wiederkehrend Portraits der ernestinischen Fürsten auf den Einbänden angebracht wurden, die sich als Schutzherren von Luthers Werk begriffen und inszenierten. Die Darstellungen von vier Fürsten waren quadratisch und kleinformatig und standen durch entsprechende Blickrichtungen in Kontakt miteinander, ihnen fehlte allerdings der ikonische Charakter, der die unmittelbare Identifizierbarkeit der Cranachschen Portraits ausmachte.

THOMAS THIBAULT DÖRING (Leipzig) präsentierte Beobachtungen zum Deckeldesign sächsischer Einbände in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Dabei konnte er zeigen, dass die verwendeten Einzelelemente in dieser Periode zu festeren Gestaltungsregeln fanden. Der Blick der betrachtenden Person sollte zur Buchdeckelmitte gelenkt werden, wofür mit Rollenstempel verzierte Trennrahmen eingeführt wurden. Die Mittelfläche wurde schließlich mit bildlichen Darstellungen versehen, die zumeist paarweise auf Vorder- und Rückendeckel angebracht wurden. Besonders häufig konnte Döring in seiner Analyse Kreuzigungsdarstellungen ausmachen, gefolgt von Wappen sowie Darstellungen der Justitia und der Landesfürsten.

MATTHIAS HAGEBÖCK (Weimar) beschäftigte sich mit der Bildsprache auf Fürsteneinbänden in der Zeit zwischen 1570 und 1586. Da Hageböck den innerfamiliären Zusammenhang der wettinischen Linien der Albertiner und Ernestiner bisher unberücksichtigt sah, stellte er Einbände aus Werkstätten beider Dynastien gegenüber. Dabei machte er die Feststellung, dass die von dem albertinischen Hofbuchbinder Jakob Krause geschaffenen Einbände oft den italienisch-französischen Stil verwendeten und damit bewusst auf eine konfessionspolitische Aussage verzichten. Dagegen beobachtet Hageböck an ernestinischen Einbänden der Jenaer Weischner-Werkstatt eine bewusste Integration von Bildmotiven, die auf aktuelle religiöse und politische Konflikte Bezug nahmen.

Im letzten Vortrag beleuchtete THOMAS FUCHS (Leipzig) an unterschiedlichen Beispielen die Bedeutung von Bucheinbänden des 16. und 17. Jahrhunderts als Träger protestantischer Erinnerungskultur. Er verwies u.a. darauf, dass Heiligendarstellungen auf Einbänden katholischer Provenienz stets präsent blieben, auf evangelischen Büchern hingegen gemieden wurden oder nur in biblischer Kontextualisierung anzutreffen waren. Nach dem Dreißigjährigen Krieg schwanden die Vorbehalte gegenüber der Darstellung von Heiligen, denn diese wurden nicht mehr als Ausdruck der Glaubenshaltung verstanden und fanden stattdessen häufig als Namenszeichen Verwendung, wie Fuchs am Beispiel von Einbänden mit dem Apostel Thomas aus der Bibliothek der Leipziger Thomasschule illustrierte. Am Beispiel des Ratsherrn und des des Kryptocalvinismus verdächtigten Henning Große legte Fuchs dar, wie mit Portraits von Luther und Melanchthon geschmückte Einbände am Ende des 16. Jahrhunderts als öffentliches Zeichen der Rechtgläubigkeit gestiftet wurden, dabei aber zugleich einen abweichenden Inhalt einschließen konnten.

Der Workshop schloss mit einer Diskussion, in der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mögliche Fortsetzungen der Veranstaltung thematisierten, beispielsweise in Form weiterer Tagungen oder mit der Bildung eines Forschungsnetzwerks. Die Partizipierenden kamen überein, dass dies dringend notwendig sei, um bestehendes Wissen zu erhalten und zu bündeln sowie Strategien für eine fruchtbare Erweiterung zu erarbeiten. Ein entscheidender Baustein dafür sei die systematische Erschließung und Beschreibung von Bucheinbänden, die bisher noch nicht erfolge. Auch reichten die derzeit verfügbaren Werkzeuge dafür nicht aus. In diesem Zusammenhang wurde auch die Gewinnung von interessiertem wissenschaftlichen Nachwuchs als entscheidende Trägergruppe betont. Die Teilnehmenden stellten abschließend heraus, dass sich eine solche Einbandforschung nicht allein in grundwissenschaftlichen Interessen erschöpft, sondern überdies an kulturwissenschaftlich inspirierte Fragestellungen und an die Provenienzforschung anschlussfähig ist.

Konferenzübersicht:

Hendrikje Carius (Gotha): Begrüßung

Daniel Gehrt (Gotha): Einführung in das Thema

Daniel Gehrt (Gotha): Intermedialität von Bildmotiven Lucas Cranachs d. Ä.

Joachim Ott (Jena): Herrschaft und Konfession auf Einbänden der Wittenberger Bibliotheca Electoralis und der frühen Jenaer Fürstlich Sächsischen Bibliothek

Daniel Gehrt (Gotha): Ausgewählte Stempel zur Verzierung der Jenaer Lutherausgabe.
Einbandgestaltung als Medium dynastischer Selbstinszenierung

Thomas Thibault Döring (Leipzig): Bucheinband als Uniform: Deckeldesign sächsischer
Einbände in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts

Matthias Hageböck (Weimar): Beobachtungen zur Bildsprache auf wettinischen
Fürsteneinbänden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts

Thomas Fuchs (Leipzig): Protestantische Erinnerungskultur auf Einbänden des 16. und 17. Jahrhunderts

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